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Im Gespräch: Dr. Gunther Schmidt

Dr. Gunther Schmidt gilt international als Begründer der Hypnosystemischen Therapie und trug maßgeblich zur “lösungsorientierten Wende” in der systemischen Einzel-, Paar- und Familientherapie bei. Als couch:now-Psychologe unterstützt er Dich bei Zweifeln an Deiner Beziehung, Schlaflosigkeit oder Grübeln und leitet dich darin an, wie du durch Krisen gehen kannst.
Im persönlichen Gespräch mit Dr. Stefan Junker spricht der Arzt über Achtung und Selbstachtung, über Gewissensbisse gegenüber den eigenen Kindern und das Potenzial von Online-Selbsthilfe.

von Stefan Junker und Maria Schmidt

Dr. Stefan Junker: Wie würdest Du Dich den couch:now-Nutzer:innen vorstellen?

Dr. Gunther Schmidt: Mein Name ist Dr. Gunther Schmidt, Ich leite in Heidelberg das Milton Erickson Institut und die sysTelios Klinik für Psychosomatische Gesundheitsentwicklung in ​​Siedelsbrunn, in der Nähe von Heidelberg. In beiden arbeiten wir mit einem von mir entwickelten, kompetenz-aktivierenden Ansatz, in der Fachwelt bekannt als der hypnosystemische Ansatz. Dabei geht es darum, Menschen so zu betrachten, dass man ihre vielen, vielen vielfältigen schlummernden Fähigkeiten – die sie oft selbst gar nicht mehr an sich bemerken oder es sich nicht mehr vorstellen können, dass sie die haben – wieder auffindbar und für ihre Ziele nutzbar macht. Ich bin im ersten Beruf Mediziner: Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Im zweiten Beruf bin ich Diplom-Volkswirt. Das nutze ich dann eher im Coaching- und Organisationsentwicklungs-Bereich.

Dr. Stefan Junker: Warum machst Du eigentlich das, was Du machst?

Dr. Gunther Schmidt: Was ich tu’ hat ganz viel damit zu tun – und das war schon in meiner Jugend so – …, dass ich den Eindruck hatte: Viele Menschen werden nicht achtungsvoll behandelt und behandeln sich selbst auch nicht achtungsvoll. Häufig können sie Fähigkeiten, die eigentlich in ihnen stecken, selbst nicht (mehr) in sich sehen. Menschen darin zu begleiten, dass sie wieder ihre Würde spüren können und sich gegenseitig auch in Würde, in Begegnunge, in quasi multikultureller Toleranz und Neugier zu begegnen …  das finde ich eine der schönsten, sinnerfüllensten und lohnendsten Fähigkeiten. Dabei ist mir wichtig, ganz klar auf die Bedürfnisse meiner Klient:innen zu achten. Denn, viele Leute in unserer Kultur – ich glaub die meisten – haben gelernt, mit ihren Bedürfnissen zum Teil nicht achtungsvoll umzugehen, sie zu unterdrücken oder dafür auch abgewertet zu werden. Ich möchte einen Beitrag zu einer anderen Welt leisten: Ein Welt, in der man wieder merkt, wie wertvoll alle Menschen sind. … Und lernt, wie sie sich gegenseitig in ihrer bleibenden Unterschiedlichkeit mit Achtung und Würde begegnen können. Und, dass endlich Missachtung, Diskreditierung, Abwertung und Kampf bis zu Krieg abgelöst werden durch Neugier oder Anteilnahme an Unterschiedlichkeit. Das ist mein Motiv.

Dr. Stefan Junker: Was würdest Du machen, wenn Du Deinen Beruf nicht weiter ausüben könntest?

Dr. Gunther Schmidt: Also wenn ich diese Arbeit nicht mehr machen könnte, die ich jetzt mache, würd‘ ich etwas machen, das in die gleiche Richtung geht, einen Beitrag zu leisten zu einer Welt von gegenseitiger Achtung, mit Respekt füreinander. Aber das kann man auch in allen möglichen Berufen machen. Selbst im Garten mit den Nachbarn… Garantiert würde ich aber was machen, denn so richtig erfüllt geht’s mir nur, wenn ich aktiv gestalte … was auch immer.

Dr. Stefan Junker: Wenn ich nun Menschen, die Dich gut kennen, nach Dir fragen würde … was würden die mir über Dich sagen?

Dr. Gunther Schmidt:  Oh, das ist ’ne vielschichtige Nummer (lacht). Einige Menschen würden sicher über mich sagen: „Der hat immer wieder neue Ideen … Und vieles bleibt dann halb auf der Strecke, weil er sich viel zu viel vornimmt und nicht einfach mal in Ruhe da sitzt und guckt, wie es sich entwickelt…“. Andere Menschen würden wahrscheinlich sagen: „Der Typ ist zu gutmütig und lässt sich zu viel gefallen und grenzt sich zu wenig ab“. Wieder andere würden vielleicht sagen: „Der Kerl redet zu viel und zu schnell und soll endlich mal die Klappe halten“. Das wären die ersten Dinge, die mir so einfallen (lacht).

Dr. Stefan Junker: Woran merk’ ich, dass ich Gunther Schmidt vor mir hab und nicht irgendjemand anderes …  was macht Dich unterscheidbar von anderen Therapeut:innen?

Dr. Gunther Schmidt: Bei meiner Arbeit höre ich sehr oft, dass die Leute es sehr beeindruckend finden, wie achtungsvoll ich mit Menschen umgehe, wie respektvoll. Wie es mir offensichtlich gelingt, dass die Leute sich an ihre schlummernden Kompetenzen erinnern. Die meisten Leute, die zu uns in Therapie oder Beratung kommen, haben ein eher eingeschränktes, schlechteres Bild von sich selbst. In der Arbeit mit ihnen kann man dann häufig ein anderes Selbstbild entwickeln – spürbar, überzeugend, erlebbar. Und es scheint mir gut zu gelingen, das Leuten so beizubringen. Andere würden wiederum von mir sagen, dass ich Leuten zumuten würde, dass sie viel mehr Kompetenzen hätten als sie eigentlich haben. Aber das sehe ich halt so… Ich bin überzeugt, die Kompetenzen sind bei den Leuten da. Und die finden wir auch immer wieder.

Dr. Stefan Junker: Wo kommst Du ins Schwärmen?

Dr. Gunther Schmidt: Wo mir das Herz aufgeht ist, wenn ich merke, jemand setzt sich für was ein, was ihn vom Herzen her bewegt, wofür er glüht, unabhängig vom Ergebnis. Einfach nur dieses Erleben von: Das ist was wert und dafür setze ich mich ein. Mit allem, was ich einsetzen kann. Wenn das jemand macht, dann berührt mich das sehr. Und dann ist es vollkommen egal, was dabei rauskommt, dieser Prozess allein ist es schon. Außerdem, wenn ich das Gefühl hab‘ oder erlebe: Hier setzt sich jemand für Fairness oder Gerechtigkeit ein. Das berührt mich am meisten.

Dr. Stefan Junker: Was treibt Dich die Wand hoch?

Dr. Gunther Schmidt: Wenn Leute sich auf Kosten anderer aufwerten. Andere abwerten und sich über sie stellen wollen, egozentrisch auf ihren Vorteil bedacht sind und keine Rücksicht auf andere Menschen und ihren Willen nehmen. Das macht mich richtig fuchsig. Und da will ich auch nicht gelassen sein, da will ich in die kämpferische Mobilisierung gehen, ganz klar.

Dr. Stefan Junker: Wo siehst Du bei Dir selber Entwicklungspotenzial?

Dr. Gunther Schmidt: (lacht) Ich sehe bei mir sehr viel Entwicklungspotenzial, wahrscheinlich mehr als ich in diesem Leben dann tatsächlich umsetzen werde. Ich bin eigentlich nie mit mir zufrieden – damit bin ich wiederum aber ganz zufrieden. Ich hab deswegen mal das Konzept der Meta-Zufriedenheit entwickelt: Ich bin ganz zufrieden damit, dass ich nicht ganz zufrieden mit mir bin. Aber ich habe sicher sehr viel Entwicklungspotential. Zum Beispiel in Begegnung mit Menschen, die mir sehr nahe stehen, auf meine eigenen Bedürfnissen zu achten. Noch bevor ich selbst überhaupt richtig denken konnte, bin ich auf die Bedürfnisse anderer eingestimmt worden und spür meine eigenen nicht mehr. In der Hinsicht habe ich ganz viel Entwicklungsbedarf. Ein weiteres Entwicklungsfeld ist, zu Dingen, die ich machen könnte, die auch reizvoll sind, auch mal zu sagen: „Ja es wäre schön … aber jetzt langt’s“. Das fällt mir ungeheuer schwer, da habe ich viel Entwicklungsbedarf – und das wäre sicher auch gesund. Aber ich mache es halt nicht in diesem Maße wie es gesund für mich wäre – glaube ich.

Dr. Stefan Junker: Wo werden bei Dir starke Gefühle der Reue indirekt wachgerufen?

Dr. Gunther Schmidt: Ich bin seit über 30 Jahren geschieden und hab eine sehr liebevolle und freundschaftliche Beziehung mit meiner geschiedenen Frau. Wir haben zwei Kinder, die – wenn ich mal Ausflüge in die Richtung Reue zeige – sagen: “Mein Gott, hör auf mit dem Gespinne. Ist doch alles gut gelaufen. Und toll, wie ihr das gemacht habt.” Dennoch gehts mir bis heute so, dass ich manchmal denk‘: „Hätte ich nicht meinen Beitrag anders machen können, indem man das nochmal mehr auf eine andere Art versucht hätte?“ Nicht nur im Dienste von uns beiden als Eltern, sondern für die Kinder… Die sind zwar prima geraten, trotzdem habe ich immer wieder dieses Gefühl. Und das sticht heute noch. Ich weiß nicht, ob das Reue ist. Denn wenn man so sieht, ist eigentlich alles wunderbar. Dennoch sticht das bis heute.

Dr. Stefan Junker: Wenn Du Menschen in einer Paarbeziehung eine einzige Botschaft mitgeben könntest, welche wäre es?

Dr. Gunther Schmidt: [lacht] Dann würde ich ihnen wahrscheinlich die Botschaft mitgeben: Versuchen Sie das, was Sie sich von Ihrem Partner wünschen, erstmal ihm zu geben. Denn wenn Sie’s ihm geben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zurück kommt. Und geben Sie auch innerlich Ihnen selbst das, was Sie sich vom Partner wünschen. Selbst, wenn es dann nicht klappt (aber die Wahrscheinlichkeit ist dann sehr hoch, dass es klappt), dann können sie wirklich mit gegenseitiger Achtung, Respekt und womöglich sogar mit Liebe auseinander gehen. Das würde ich ihnen wünschen. Das ist leicht gesagt, ja. Aber man braucht ja immer noch Ziele im Leben, gell? [lacht] 

Dr. Stefan Junker: Hast Du eine Anleitung zum Scheitern für Paarbeziehungen, die Du den Menschen mitgeben kannst?

Dr. Gunther Schmidt: Da hätte ich ganz viele Tipps. Ein wichtiger Tipp, um eine Beziehung zum Scheitern zu bringen ist, sich immer innerlich die ideale Wunschpartnerin, die Traumpartnerin oder den Traumpartner zu imaginieren und dabei zu denken: „Bestimmt gibt’s noch was besseres als das, was ich jetzt gerade erlebe“. So, dass man alle Projektionen des idealisierten Traum-Menschens – der man selbst ja eigentlich auch nicht ist – auf den anderen projiziert, dass man dann zu dem Schluss kommt „Na klar, das ist jetzt alles recht und schön… aber bestimmt gibt’s noch was besseres und ich muss den Ritt zu den blauen Bergen da vorne wieder anfangen“.
Ein weiterer wichtiger Tipp ist, dass man sich in seinen eigenen Bedürfnissen immer vom anderen abhängig machen sollte. Damit meine ich, dass die eigenen Bedürfnisse gefälligst der Andere zu erfüllen hat. Und wenn diese Bedürfnisse dann nicht erfüllt werden, ist die Unterstellung der Böswilligkeit des anderen – nicht etwa die Annahme, dass der Partner aus seiner Sicht, in seiner Welt vielleicht gute Gründe hat, sich so zu verhalten – sehr wichtig. 

Wenn diese Komponenten zusammen kommen, dann gibt es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass es scheitert und dass man scheppernd an die Wand fährt.

Dr. Stefan Junker: Als Du von couch:now gedacht, als Du das erste Mal davon gelesen hast?

Dr. Gunther Schmidt: Als ich von dem Konzept gelesen habe dachte ich: „Das ist eine tolle Möglichkeit, Leute zu unterstützen“. Zum Einen bietet das Menschen eine gute Erinnerungshilfe an ihre eigenen Kompetenzen, zum Anderen bietet es Menschen Ermutigung. Ermutigung, dass sie die Ideen, die auf couch:now angeboten werden, eigenständig für sich nutzen können, auch wenn es gerade nicht läuft wie gewünscht. Und zwar ohne Belehrung, ohne besserwisserische Information von oben herab, sondern auf achtungsvoller Augenhöhe. So, dass die Person auf der anderen Seite des Bildschirms, der das sieht oder hört ernst genommen wird und zwar als eine genauso kompetente, wertvolle und wichtige Person wie man selbst. Und deswegen hab‘ ich da auch zugesagt.

Dr. Stefan Junker: Was denkst Du, kann couch:now für Menschen leisten?

Dr. Gunther Schmidt: Wenn Menschen eine Unterstützungshilfe wie couch:now nutzen, heißt das nicht etwa, dass sie unfähig oder pathologisch sind. Für mich bedeutet das, dass sie sich durch ein kompetentes und kluges Angebot Anregungen von außen holen. Diese Hilfe bestätigt sie in ihrer eigenen Würde, ihrem eigenen Wissen und in ihren eigenen Fähigkeiten. Aber auch in ihrer Selbstverantwortung, das Gesehene eigenständig umzusetzen. Das versprech’ ich mir von couch:now.


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Gunther Schmidt

Gunther Schmidt

Der preisgekrönte Arzt und Familientherapeut gilt als Pionier der Hypnosystemischen Therapie. Er gründete u. a. das Milton-Erickson-Institut und ist Direktor der Fachklinik für Psychosomatik SysTelios.

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